Unser nächstes Ziel war Contratación, das idyllisch, etwas versteckt in den Bergen liegt und nur über zwei Rumpelpisten zu erreichen ist. Der Ort hat eine besondere Geschichte:
Ursprünglich ein Handelsposten für Chinarinde, wurde er ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem „Lazareto“, einem Quarantäneort für Leprakranke. Von den Spaniern wurde die Krankheit über Cartagena (1615) eingeschleppt und in den Kolonien wurden die Erkrankten wie in Europa abgesondert, meist in eigene Viertel vor den Toren der Stadt. Das war den Bewohnern der (damaligen) Provinzhauptstadt Socorro noch zu nahe und so wurden sie nach Contratación verbannt.
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es eine Leprahysterie. Gerade war ein verheerender Bürgerkrieg zu Ende und es kursierten sehr hohe Erkrankungsziffern (über 60.000 von 5 Millionen Einwohnern), so dass der damalige Präsident eine strikte Absonderung der Leprösen anordnete.
Das Lazareto wurde von Polizeiposten überwacht, dass keiner fliehen konnte und alle Gesunden wurden des Ortes verwiesen. Gesunde Kinder wurden in Heime in den Nachbarorten gebracht, die Jungen nach Guacamayo und die Mädchen nach Guadalupe.
Erst ab 1961 oder 1970 (wir fanden keine einheitlichen Angaben) wurde die Isolierung aufgehoben und der Ort geöffnet.
Dann kamen Guerilla und Paramilitärs, aber darüber will vor Ort keiner so gerne reden.
Interessant für uns war auch, dass in den Nachbargemeinden, in denen wir nach dem „Lepra-Ort“ nachgefragt hatten, eine deutliche Scheu war. Wir sollten doch wenigstens „Hansen-Erkrankung“ sagen und eigentlich gibt es da keine Erkrankten mehr und wieso wir da überhaupt hin wollten….
An vielen Häusern fanden wir Murales mit Sprüchen, ausnahmsweise einmal weder „links“ noch aus der Bibel.
Wie in anderen Leprosarien Lateinamerikas gab es auch in Contratación eigenes Geld. So sollte verhindert werden, dass von Leprösen berührtes Geld in den allgemeinen Umlauf kam.
Hier unser besonderer Schatz: Eine Original-Leprosarium-Münze von 1921. Wir bekamen sie zu unserem Abschied von Rosa, einer Physiotherapeutin, geschenkt. Rosa zeigte uns nicht nur das Leprosarium, sondern den ganzen Ort mit viel Liebe zum Detail.
Der Innenhof des „Sanatorio“, des Krankenhauses, in dem heute (nicht nur) die Leprösen behandelt werden.
Obwohl wir ohne Voranmeldung kamen, wurden wir sofort offen und herzlich vom Team empfangen, bekamen alles gezeigt und unsere vielen Fragen beantwortet. Links im Bild Dr. Olinto Mieles Burgos und in der Mitte Rosa Isabel Rinconvega.
Alle Patienten ließen sich gerne fotografieren. Manche bestanden sogar darauf, dass auch von ihnen ein Bild gemacht wurde.
Heute leben ca. 4000 Menschen in Contratación, davon 280 Lepröse. Mitte des 20. Jahrhunderts waren es 10.000 Erkrankte. In Kolumbien gibt es heute ca. 450 Neuerkrankungen pro Jahr, die hier und in 3 weiteren Zentren behandelt werden.
Ingesamt sind nur 20 autochtone Fälle von Lepra im Ort dokumentiert. Die Erkrankung ist nicht sehr ansteckend, nicht alle Fälle sind kontagiös und behandelte schon gar nicht.
Die in Contratación lebenden Lepraerkrankten werden im Pueblo nicht als „Aussätzige“ wahrgenommen, sondern als ganz normale Personen. Außerdem bekommen sie hier adäquate Behandlung. Dennoch werden viele Erkrankte von ihren Familien nach Hause geholt (und dann wahrscheinlich in irgend einem Zimmer versteckt). Der Grund: Jeder Erkrankte bekommt vom Staat den Mindestlohn und davon leben dann oft die Familien. Lepra war schon immer eine Erkrankung der Armen.
Die Atmosphäre war sehr freundlich, super entspannt und alle freuten sich über die Abwechslung durch unseren Besuch.
Wer das Leprosarium besuchen möchte, sollte keine Scheu haben, die Herzlichkeit zu erwidern, Hände zu schütteln, zu Umarmen und Küsschen auf die Wange zu geben. Wie oben schon erwähnt, passieren kann dabei nichts, außer dass sich alle freuen.
Die Älteste im Heim ist sagenhafte 103 Jahre alt!
Auch in der Küche herrschte gute Stimmung. Selbstverständlich mussten wir vom Mittagessen kosten.
Der Bedarf an orthopädischem Schuhwerk im Ort ist groß. So gibt es eine eigene Spezial-Schusterei.
Am nächsten Morgen wurde Rosa von ihrer Arbeit freigestellt, um mit uns den Berg zur María Auxiliadora zu erklimmen. Der gepflasterte Weg wurde in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von den Leprösen angelegt.
Hier vielen Dank nochmal an alle, ganz besonders an Rosa! Unsere zwei Tage in Contratación bescherten uns viele der eindrucksvollsten Erlebnisse in Kolumbien.
Jeder, der den Berg erklimmt, läutet die Glocken, die somit über den ganzen Tag immer wieder zu hören waren.
An dieser Stelle mussten sich im vergangenen Jahrhundert die neu angekommenen Erkrankten ausziehen und ihre Kleider wurden verbrannt, bevor sie in den Ort gebracht wurden. Teilweise wurden sie gefesselt.
Etwas oberhalb von Contratación liegt das ehemalige, heute verfallene Verwaltungsgebäude aus der Zeit der Isolierung.
Im Inneren fanden wir erstaunlich gut erhaltene Wandzeichnungen aus der Steinzeit ;-).
Wir rumpelten weiter über eine schlechte und steile Piste nach Guadalupe.
In der Kirche befindet sich ein wundertätiges Bild der Virgen de Guadalupe. Hier in Südamerika geschehen immer noch viele Wunder.
In der Bibliothek prangt an der Wand ein Zitat unseres ehemaligen Bundeskanzlers: Ein Volk, das seine Geschichte nicht kennt, kann weder die Gegenwart verstehen noch die Zukunft gestalten. (Rückübersetzt aus dem Spanischen. Vielleicht kennt ja jemand unserer Leserschaft das Originalzitat?)
Wir kamen nach Guadalupe vor allem wegen der drei verschiedenen Badestellen an den Flüssen: Pozo La Gloria, El Salitre und Las Gachas. Die beiden ersten hatten kaum Wasser und luden uns nicht zum Verweilen ein. So wanderten wir zu Las Gachas. Der Fußweg dorthin war in bescheidenem Zustand. Zum Glück hatte es nicht geregnet. Mit viel Hand- und Muliarbeit war man dabei, den Weg zu befestigen.
Las Gachas: Im steinernen Flussbett befinden sich Vertiefungen, in denen man baden kann. Die Steine sind sehr glitschig und jeder geht mit Socken darüber. Heute ein beliebtes Touristenziel. Vor dem Friedensschluss mit den FARC konnte man sich dort nicht so einfach hinwagen.
Auf unserm weiteren Weg durch die Berge Santanders kamen wir an dieser archaisch anmutenden Zuckerrohrpresse vorbei.
Auch in Gámbita (gegründet 1760, 5000 Einwohner) thront eine sehenswerte, überdimensionierte Kirche über der schönen Plaza.
Nahe des Ortes befindet sich eine Höhle. Um zu ihr zu gelangen, mussten wir zuerst über eine steile Wiese hinabsteigen.
Die Höhle ist ein unterirdischer Flusslauf, in mehreren Abschnitten, dem man einige hundert Meter folgen kann, bis es nur noch schwimmend weitergeht. Unserem Erforschungsdrang waren keine Grenzen gesetzt (außer unserer Vernunft), denn wir waren ganz alleine.
Im feuchten Klima auf 2000 m wachsen riesige Baumfarne und viele uns unbekannte Pflanzen.
Der Manto de la Virgen, der „der Umhang der Jungfrau“ ist ein imposanter zweistufiger Wasserfall.
Wir wagten uns ohne Bedenken über die rumpeligen und engen Bergpisten. Unterwegs beschützten uns so viele Jungfrauen, dass gar nichts passieren konnte.
In dem kleinen Ort Palermo fanden wir schöne Murales und bunte Häuser.
Wir waren nicht das einzige Fahrzeug mit einem deutschen Nummernschild ;-).
Auf 3000 m Höhe wurden viele Brombeeren angebaut, leider waren sie noch nicht reif.
Unser Ziel war der Páramo. So heißt im nördlichen Südamerika die Region über 3500 m. Hier ist es kalt, 8 Grad am Tage und 2 Grad in der Nacht, es sei denn die Sonne scheint. Regen gibt es hier das ganze Jahr. Zur Zeit ist Trockenzeit, d.h. es regnet nicht jeden Tag.
Eine Besonderheit im Páramo sind die Frailejones (wörtlich übersetzt „große Mönche“), die Espeletias. Diese eigenartigen, bis zu 3 m hohen Pflanzen wachsen hier zu Tausenden. Sie gehören zu den Korbblütlern (Asteraceae) und es gibt mindestens 45 Arten. Sie wachsen pro Jahr nur sehr wenig.
Eine andere Art, die nicht so oft zu sehen war. Wer sich in der Bestimmung auskennt mag uns gerne weiterhelfen.
Zwei weitere Varianten von niedrig wachsenden Frailejones konnten wir finden.
Auch Achupallas aus der Familie der Bromeliaceaen wachsen hier. Die Blüten erinnerten uns an die Puya raimondii, die wir auf ähnlicher Höhe in den den Anden Boliviens und Perus entdeckt hatten.
Als Botaniker käme man hier voll auf seine Kosten. Aber auch wir haben uns an der Schönheit der Flora in ihrer Mannigfaltigkeit begeistert.